Von 1670 bis 1684 lebte und wirkte die in Frankfurt geborene Naturforscherin und Stillebenmalerin Maria Sibylla Merian in Nürnberg, – die für ihre Entwicklung vielleicht entscheidenden Jahre. Die Künstlerin gilt als weltweit erste bedeutende Insektenforscherin. Ihre Kompendien zur Flora und Fauna des südamerikanischen Surinam waren nicht nur Meisterwerke der Miniaturmalerei, sondern darüber hinaus wegweisende naturwissenschaftliche Studien weit vor Alexander von Humboldt. Ihr Lebensweg, der sie von Frankfurt über Nürnberg nach Nordfriesland, in die Niederlande und schließlich nach Südamerika führte – was im Zusammenhang mit den niederländischen Kolonien der ostindischen Kompanie möglich wurde – ist erstaunlich.
Vielfältig sind ihre Leistungen: Nach der Ausbildung bei ihrem Stiefvater Jacob Marell und der Heirat mit dem aus Nürnberg stammenden Verleger und Kupferstecher Andreas Graff (1636 – 1701), war dies u.a. in Nürnberg die Gründung einer Malschule für Frauen und ledige Mädchen aus dem gehobenen Bürgertum. Die unter Jacob von Sandrart 1662 gegründete Akademie nahm damals nur männliche Mitglieder auf, das das Aktstudium Frauen aus Gründen der „Schicklichkeit“ untersagt war. In ihrem Wohnhaus am Oberen Milchmarkt (Albrecht-Dürer-Platz) züchtete sie Insekten und Schmetterlinge als Anschauungsobjekte für ihre Bildnisse. Dies führte 1679 zu der Veröffentlichung des Buches „Der Raupen wunderbare Verwandelung und Blumennahrung“ mit 50 kolorierten Kupferstichen. Ein heute rekonstruierter Garten unterhalb der Burg lieferte die für die Raupenzucht notwendigen Pflanzen und Gräser. Fasziniert von der Metamorphose der Schmetterlinge schrieb sie: „Eine Raupe, die sich häutet, schiebt ihre Haut drey oder viermal ganz ab, so wie ein Mensch über den Kopf ein Hemd auszieht…“
Bereits 1678 war im Verlag ihres Mannes das dreibändige „Blumenbuch“ bzw. „Neue Blumenbuch“ erschienen. Die Malerin erteilte jedoch nicht nur Unterricht, sondern ließ sich selbst bei dem Maler Johann Paul Auer weiter bilden, um die Plastizität und Naturtreue ihrer Abbildungen zu steigern. Auers Schwester Dorothea, Schülerin in ihrer so genannten „Jungfern-Compagnie“, wurde Taufpatin ihrer in Nürnberg geborenen, zweiten Tochter gleichen Namens. Diese sollte sie später als Assistentin nach Surinam begleiten.
Bereits zu Lebzeiten wurde die Leistung dieser Frau, die Tochter des Verlegers und Kupferstechers Matthäus Merian d. Ä. aus Frankfurt a.M., durchaus gewürdigt. Dennoch scheint sie mit finanziellen Schwierigkeiten gekämpft zu haben. Bereits in Nürnberg stellte sie ihre Bücher zum Verkauf im Verlag ihres Mannes her, erteilte Unterricht und handelte darüber hinaus mit selbst hergestellten Farben. Auch in Frankfurt, wohin sie nach dem Tod ihres Stiefvaters Jacob Marell zurückkehrte, erteilte sie Zeichenunterricht und gab den zweiten Teil ihres Raupenbuches heraus (1683). Ihr wechselvolles Leben wurde in zahlreichen Dokumentationen und Romanen mehr oder weniger realistisch dargestellt.
An ihrem Todestag, dem 13. Januar 1717, verkaufte ihr Schwiegersohn, der Maler Georg Gsell, den größten Teil ihrer künstlerischen Hinterlassenschaft an einen Agenten des russischen Zaren. Auf diese Weise gelangte ihr Nachlass in die Sammlungen Peter d. Großen nach St. Petersburg, wo er bis heute aufbewahrt wird. Trotz ihres starken Glaubens, der eine der Triebfedern ihres zielbewussten Handelns gewesen sein mag, war die Merian in ihrer Epoche, der Zeit nach dem 30-jährigen Krieg, keineswegs eine Ausnahme unter den gebildeten, kreativen Frauen des Nürnberger Bürgertums und Patriziats. Gesellschaftliche Voraussetzungen für diese frühe Emanzipation schuf u.a. der „Pegnesische Blumenorden“, der auch Frauen in seinen Reihen wie die Dichterin Maria Katharina Stockfleth, gen. „Dorilis“, aufnahm. Joachim von Sandrart würdigte die Merianin bereits 1675 in seinem Lexikon berühmter Künstlerinnen und Künstler, der „Academie der Bau-, Bild- und Mahlerey-Künste“. Sandrarth muss als Förderer und Freund der Künstlerinnen im Zeitalter des Barock in Nürnberg gelten.